
MirImmer mehr Verbraucher in Deutschland können sich die hohen Preise für Energie, Lebensmittel und Dienstleistungen nicht leisten. Mehr als drei Viertel der Verbraucher müssen sich mittlerweile beim Einkaufen einschränken, so der aktuelle Future Consumer Index des Beratungsunternehmens EY, der nur WELT vorliegt.
Gleichzeitig gab die Hälfte der 1.000 Befragten an, nur das Nötigste kaufen zu können. „Aufgrund der Inflation sind die Konsumausgaben jetzt eingeschränkter und die Einnahmen aus dem Konsum gehen entsprechend zurück“, sagt Michael Renz, Director of Product and Sales von EY Deutschland. “Verbraucher müssen daher bei vielen Produkten sparen.”
Besonders betroffen sind Einzelhändler für Mode und Unterhaltungselektronik. Immerhin 56 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mittlerweile kaum noch neue Kleidung kaufen. Gleiches gilt für die Unterhaltungselektronik mit beispielsweise Fernsehern, Smartphones, Laptops und Spielkonsolen. Auch hier gaben 56 Prozent der deutschen Verbraucher an, diese Produkte jetzt zurückzuhalten oder gar nicht mehr zu kaufen.
Doch Tankstellen und Apotheken sind laut Recherchen inzwischen häufiger ausgenommen. „Fast jeder Zweite schreibt heute weniger, und mehr als jeder Vierte gibt an, Medikamente zu sparen“, heißt es in der Studie.
Aber das scheint erst der Anfang zu sein. Allerdings meldet EY in den kommenden Monaten weitere Sparpläne von Haushalten. Ganz oben auf der Liste stehen Bestellungen von Lieferdiensten. Die Hälfte der Verbraucher hierzulande möchte weniger Lebensmittel bestellen und weniger Lebensmittelanbieter in Anspruch nehmen.
Gleichzeitig haben Kunden die Möglichkeit erkannt, bei Freizeitaktivitäten zu sparen: zum Beispiel Urlaubsreisen, Restaurant-, Bar- und Kinobesuche, Eintrittspreise fürs Fitnesscenter oder die Anzahl der gebuchten Streaming-Dienste.
96 Prozent der Kostensteigerung
Andererseits planen die Befragten, mehr Geld für Lebensmittel und Hygieneartikel auszugeben. Dies geschieht alles andere als freiwillig, sondern aufgrund der allgemeinen Erwartung, dass die Preise steigen werden. Beeindruckende 96 Prozent der Teilnehmer des Future Consumer Index erwarten in den nächsten sechs Monaten Zuwächse bei Waren und Dienstleistungen, vor allem bei Energie, Öl und Reis.
Und dieses Gefühl ist bedingungslos. Die Inflationsrate in Deutschland hat ein neues Sechsmonatshoch erreicht. Und die größten Treiber sind laut Statistischem Bundesamt seit jeher Energie und Ernährung. Im Oktober fallen beispielsweise Gebühren von 43 Prozent an ehren 43 Prozent für Strom und 20,3 Prozent für Lebensmittel im Vergleich zu denselben Monat letztes Jahr.
Dass es am Markt teurer wird, zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Münchener ifo-Verbandes. Allerdings planen zwei von drei lebensmittelverarbeitenden Unternehmen und 38 Prozent der Lebensmittelhersteller, zusätzliche Beschaffungskosten in den kommenden Monaten weiterzugeben. „Bisher waren die Unternehmen in Deutschland zu langsam und haben es versäumt, ihre Preise an die Verbraucher zu liefern“, heißt es in der Studie, die sich nicht auf Lebensmittel beschränkt.
Quelle: Infografik WELT
Laut ifo-Experten werden nur 34 Prozent der Rohstoff- und Produktionskosten an die Gesamtwirtschaft weitergegeben. Schwache Nachfrage, hoher Wettbewerb und langfristige Verträge hätten sich vorerst ausgewirkt, sagte er.
Recherchen zufolge wollen die Unternehmen ihre höheren Preise nun aber in den kommenden Monaten weitergeben. „Dies wird in den kommenden Monaten zu weiter steigenden Verbraucherpreisen führen“, prognostiziert ifo-Forscher Manuel Menkhoff.
Auch jetzt gibt es noch erste Anzeichen einer Pause. So ist die Inflationsrate auf Produzentenebene deutlich zurückgegangen. Auch die Herstellungspreise stiegen im Oktober, wobei das Amt für nationale Statistik einen Anstieg von 34,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat meldete. Im September lag die Quote noch bei 45,8 Prozent. Und im Monatsvergleich ist der Produktionspreis sogar erstmals seit Mai 2020 gesunken, und zwar um 4,2 Prozent.
Experten sind davon überrascht. Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg nannte diese Entwicklung sogar bemerkenswert. “Vielleicht das erste Anzeichen dafür, dass sich etwas an den hohen Preisen ändert.”
Aus Sicht der Analysten ist das Inflationsproblem aber noch lange nicht überwunden. Trotz der Abschwächung der Produktionskosten zeichnet sich noch immer kein Ende der Hochinflation in Deutschland ab. Aber das scheint kaum jemand zu wollen. Allerdings denken die Deutschen nicht an die Zukunft, wie der Future Consumer Index von EY zeigt.
Quelle: Infografik WELT
Auch langfristig. Immerhin glauben 52 Prozent der Forscher, dass sich die Situation in Deutschland in den nächsten drei Jahren nicht verbessern wird. Damit sind die Menschen hierzulande negativer eingestellt als der globale Durchschnitt, der bei 32 Prozent liegt.
EY hat 21.000 erfolgreiche Kunden in 27 Ländern befragt. Gefährlich ist, dass die Situation in Europa schlimmer ist als in anderen Regionen der Welt, etwa in Amerika, Indien oder China.
In der Volksrepublik beispielsweise 60 Prozent das meiste Geld ausgeben. In den USA hingegen erwarten 50 Prozent eine positive Entwicklung und nur 25 Prozent eine negative.
In Europa geht es vor allem den Schweden noch vergleichsweise gut. Auch bei Briten, Niederländern und Italienern sind negative Gefühle vorhanden, wobei in Deutschland eine bessere Tendenz zu beobachten ist. Für Frankreich hingegen zeigt EY mehr Zukunftssorgen als Deutschland.
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