Journalist sieht bei Kirche und Sport fehlende Kontrolle

klarer Himmel: Sexuelle Gewalt in Sport und Kirche. Als Journalist haben Sie sich mit beiden Welten auseinandergesetzt. Welche Parallelen sehen Sie?

Hajo Seppelt (Journalist und Autor): Erstens sehe ich Kontrollmechanismen, die nicht funktionieren. So ist das im Sport. Der Sport reguliert sich sozusagen selbst. Er ist ein autonomes System. Es wünscht sich auch viel Intentionalität in unserem Gesellschaftssystem, dass es sich sozusagen nach dem Subsidiaritätsprinzip selbst verwaltet. So soll es sein, aber das Ergebnis ist, dass alles, was nicht gut läuft, oft der öffentlichen Kontrolle entzogen wird. Das finde ich sehr problematisch.

Die Kirche hat auch ihr eigenes Leben und verwaltet sich selbst, das ist auch notwendig, aber es bedeutet, dass bestimmte Dinge außer Kontrolle geraten. Und gewisse Dinge, die dort strukturell und formal passieren, haben nichts mit den internen Abläufen der Kirche zu tun. Ich sage es ganz offen: Ob ein Ministrant in der Sakristei missbraucht wird oder es einem Pfarrer auf der Straße oder im Park passiert, das sind letztlich Verbrechen. Diese Verbrechen werden nicht relativiert, weil sie plötzlich woanders passieren und sich damit der öffentlichen Kontrolle entziehen.

Hajo Seppelt

“Außerdem ist das System im Sport und noch mehr in der Kirche sehr patriarchalisch.”

Wenn wir im Sport von sexuellem Missbrauch sprechen, kann das in einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Athleten und einem Trainer geschehen, zum Beispiel in der Umkleidekabine oder unter der Dusche. Auch dies ist ein Bereich, der keiner wirklichen öffentlichen Kontrolle zulässt, solange niemand auf die Idee kommt, Strafanzeige zu erstatten und der Sache nachzugehen. Das kommt natürlich selten vor, zumal das Opfer solcher Angriffe dies oft nicht öffentlich machen will oder sich wegen der beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse oder auch wegen Altersunterschieden oder wegen hierarchischer Strukturen verlegen fühlt. . All dies sind große Parallelen.

Darüber hinaus existiert dieses sehr patriarchalische System im Sport und noch mehr in der Kirche. Da sind oft viele Männer unterwegs. Männer, die oft bestimmte patriarchalische Systeme verinnerlichen und aufrechterhalten. Sie leben es so, wie sie sozialisiert wurden oder wie es ihnen in der Kirche aufgetragen wurde. Dies erschwert die öffentliche Kontrolle zusätzlich.

Was für mich äußerst unverständlich und schlimm ist: dass es in Köln einen Kardinal gibt, der meiner Meinung und Beobachtung nach bis heute relativiert, teilweise verharmlost und durch seine Grundhaltung auch zu anderen katholischen Gesellschaftsthemen Stellung bezieht . Kirche, die extrem veraltet ist. Betrachten Sie die Sexualmoral oder andere Themen wie den Dienst von Frauen in der Kirche. Und er tut dies, indem er behauptet, dass ein Buch, das vor Tausenden von Jahren geschrieben wurde, die Grundlage unseres heutigen Denkens ist. Ich finde das schrecklich. Wie das heute noch passieren kann, ist mir nicht ganz klar.

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Genauso leben wir im Sport in teils feudalen Strukturen, in anachronistischen Machtverhältnissen, so über Jahre kultiviert, so geschaffen, so gewollt an der Spitze mit Leuten im IOC (Internationales Olympisches Komitee) wie dem deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach , der dieses System zum Machterhalt und zur dauerhaften und auch strukturell gefestigten Machtsicherung nutzt. Das sind alles völlig veraltete Dinge. Da gibt es aus meiner Sicht durchaus eine Parallele im Sport und in der Kirche.

klarer Himmel: Sie haben in beiden Bereichen ausgiebig geforscht. Bei der Kirche mit der Dokumentation über „Out in Church“. Was ist mit den Widerständen, auf die Sie bei Ihrer Recherche gestoßen sind? Ist das im kirchlichen System eine Form des Widerstands als im organisierten Sport? Oder ist es egal, ob Sie versuchen, an der Oberfläche zu kratzen?

Hajo Seppelt

“Ich würde das als komplette Schweigemauer im Sport bezeichnen, ich würde sagen in der Kirche, aber auch, weil es jetzt eine unglaubliche Demokratiebewegung von unten in der Kirche gibt.”

Seppelt: Ich bin seit langem investigativer Journalist und wir sind immer uneins, wenn wir über Beschwerden berichten wollen. Das ist auch verständlich. Wie interessiert sollten Personen sein, mit uns zu sprechen, wenn wir glauben, dass sie mit einer Beschwerde in Verbindung stehen oder dafür verantwortlich sind? Das ist offensichtlich. Da gibt es natürlich Gemeinsamkeiten im Sport und in der Kirche. Aber ehrlich gesagt ist es in jedem anderen Bereich der Gesellschaft so. Es ist jetzt kein großes Geheimnis, wie Sie sich vorstellen können.

Was ich im Sport als komplette Schweigemauer bezeichnen würde, würde ich in der Kirche sagen, liegt nur teilweise daran, dass es jetzt eine unglaubliche Demokratiebewegung von unten in der Kirche gibt. Es gibt so viele Menschen in Deutschland, die katholisch getauft und sozialisiert sind, die der Kirche angehören und die eine diametral andere Position einnehmen als das, was die Amtskirche oder Teile der Amtskirche Deutschlands und insbesondere Roms sagen.

Diesbezüglich gibt es natürlich genügend Gesprächspartner, die sehr gesprächsbereit sind. Es war auch so, dass wir bei der Recherche für unsere Dokumentation „Wie Gott uns erschaffen hat“ natürlich Menschen viele Türen geöffnet haben, die immer gesagt haben, dass sie es toll finden, dass die ARD so ein Projekt macht. Der nächste Schritt war dann: Gehst du auch vor die Kamera? Das ist eine ganz andere Frage. Es ist eine Sache, mit uns zu sprechen, aber eine andere, an die Öffentlichkeit zu gehen, indem man vor laufender Kamera interviewt wird. Aber vielleicht war es nicht gleich Widerstand, vielleicht war es auch nur das Zögern oder die Angst, das Ding beim Namen zu nennen und offen dafür einzutreten. Vielleicht hat das die Arbeit erschwert, besonders für meine Kollegin Katharina Kühn, die das ganze Projekt geleitet hat. Das war extrem schwierig. Aber in Wirklichkeit haben wir nur Widerstand von Seiten der Kirchenfürsten erfahren.

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klarer Himmel: Die Kirche hat immer wieder ein großes Gegenargument vorgebracht. Wenigstens tut die Kirche etwas. In einigen Diözesen haben Studien begonnen. Auf weltkirchlicher Ebene hat Papst Franziskus vor einigen Jahren ein neues Dokument dazu veröffentlicht. Gibt es nicht noch mehr Unterdrückung in anderen Bereichen der Gesellschaft?

Seppelt: Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich bin zwar weit davon entfernt, sportliche Strukturen verteidigen zu wollen, aber ich denke durchaus, dass es genug Menschen im Sport gibt, die das Thema ernst nehmen und sagen, dass sexueller Missbrauch völlig inakzeptabel ist und natürlich strukturell und de facto bekämpft werden muss. Das ist vollkommen klar. Natürlich gibt es auch diese Sensibilität. So würde ich das jetzt nicht sehen. Dann werden Schritte eingeleitet.

Wobei ich in einem Punkt auch einen großen Unterschied zwischen Sport und Kirche sehen würde. Der Sport ist auch hierarchisch mit Vorstandsmitgliedern, Präsidenten und Leuten mit Geld. Aber ich würde sagen, dass die patriarchalische Kirche viel älter ist. Das liegt zum einen daran, dass Frauen keine hohen Ämter bekleiden dürfen. Auf jeden Fall dürfen sie sich nicht in denen befinden, in denen sich die Proklamation befindet. – Zweitens würde ich sagen, dass es immer noch einen Unterschied gibt, natürlich entscheidet Rom alles über diese uralte Struktur und das führt zu Richtlinien, die jeder befolgen muss.

Wie auch immer Sie Recht haben, es tut sich etwas in der Kirche. Das ist gut so und ich finde das richtig. Unser Film hat übrigens nicht so sehr die Kirche an die Wand genagelt, sondern einfach die Situation der Menschen gezeigt und die Kirche zu Wort kommen lassen. Die Kirche hat sich zu Wort gemeldet und der Bischof Dieser Aachener hat in diesem Film sehr beeindruckende Dinge gesagt, fand ich.

Die Kirche nimmt große Summen ein – die katholische Kirche in Deutschland ebenso wie die evangelische. Dies geschieht nicht nur durch den Kirchensteuerzahler, sondern auch durch die vielen anderen direkten und indirekten Zahlungen, die er ebenfalls vom Staat erhält. Es muss einer verstärkten öffentlichen Kontrolle unterzogen werden. Es kann nicht sein, dass sie ihr eigenes Ding macht und nicht in die Karten schauen will, aber gleichzeitig gehört sie dem Steuerzahler.

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klarer Himmel: Sie haben gerade gesagt, dass Sie vor allem von der Hierarchie in der Kirche auf Widerstand stoßen, nicht aber von den Gemeindebewegungen. Es ist viel los mit Maria 2.0 usw. Gibt es wirklich eine Parallele im Sport?

Seppelt: Ja ja. Aber ich rede eher vom Leistungssport. Da ist zum Beispiel „Sportler Deutschland“. Dies ist eine Organisation, die vor einigen Jahren gegründet wurde. Soweit ich weiß, sind sie jetzt fünf Jahre alt. Dies ist eine unabhängige Organisation von Sportlern. Das liegt zum Teil auch daran, dass Sportler für mich immer nur unter dem Dach des IOC oder des Deutschen Olympischen Sportbundes als Auftrag, wie ein Anhängsel, existierten. Letztlich waren sie jedoch nicht in der Lage, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Es gab keine Gewerkschaft, weil die Arbeitnehmer eine Verlängerung der Arbeitgeber sind. So hat es funktioniert.

Was im Sport dringend nötig war und jetzt ein bisschen ernst ist, ist, dass es jetzt eine Art Athletengewerkschaft gibt. Es gibt jetzt Leute, die auf der anderen Seite des Tisches von Sportfunktionären oder Sportpolitikern sitzen. Das ist gut. Das passiert im Sport mit „Athleten Deutschland“. Sie haben jetzt Tausende von Mitgliedern, und ich nehme an, der Zulauf war und ist immer noch sehr hoch. Das ist eine Art Gegenbewegung, die notwendig ist, um zu zeigen, dass nicht nur eine Institution entscheidet, wohin es geht, sondern auch andere.

Was die Kirche betrifft, denke ich, dass es nicht stimmt, dass die katholische Kirche entscheiden kann, wie Menschen denken, leben und fühlen sollen. Aus meiner Sicht kann die katholische Kirche sicherlich nicht entscheiden, wer zur Kommunion geht oder wer nicht zur Kommunion geht. Wie behaupten sie, entscheiden zu können, wer gottesfürchtig ist und wer nicht? Ich finde es ein bisschen anachronistisch und finde es etwas extremer als im Sport, weil es auch ganz grundlegende Fragen im Leben aufwirft.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Was gibt uns Hoffnung in der Corona-Pandemie? Darüber diskutiert der katholische Podcast „Himmelklar“ jeden Mittwoch Menschen aus Alltag, Kirche und Politik über ihr Leben im Ausnahmezustand und all die Fragen, die uns seit Beginn der Pandemie beschäftigen. überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MDG mbH in Zusammenarbeit mit catholic.de und DOMRADIO.DE Gefördert durch das Katholische Medienhaus Bonn und die APG mbH moderiert von Katharina Geiger und Renardo Schlegelmilch.

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